Am letzten Samstag haben sich die FDP-Delegierten in Bern zu einer denkwürdigen Delegiertenversammlung getroffen. An diesem Samstag verkörperte die FDP unsere Schweiz en Miniature: leidenschaftliche Debatten und am Ende akzeptierte Mehrheiten sowie respektierte Minderheiten. Der Karikaturist, der das Geschehen bildlich festhielt (siehe untenstehendes Foto), sprach am Schluss von "kultiviertem Zoff". Diese Vielfalt zeigt, dass wir eine Partei sind, die denkt, streitet und gestaltet.
Karikatur zur FDP-Delegiertenversammlung (Photo credit: André Springer)
Verabschiedung Thierry Burkart als Parteipräsident
"Unser" Thierry wurde mit herzlichen Worten des Danks und Respekts verabschiedet. Dank seiner unermüdlichen Arbeit darf seine Nachfolge auf einer starken Grundlage aufbauen. Die FDP Aargau hat Thierry auch in einem Video gedankt, abrufbar am Ende dieses Textbeitrags.
Lieber Thierry, wir Aargauer Freisinnigen sind stolz, durften wir mit Dir erneut einen nationalen Parteipräsidenten stellen. Nun freuen wir uns, Dich wieder mehr in unseren Gefilden anzutreffen. Keine Frage, Du wirst als Ständerat für den Aargau weiterhin wichtige Impulse in Bundesbern setzen. Danke für Dein starkes politisches Gestalten für die FDP, den Aargau und die Schweiz!
Neue Spitze für die FDP
Mit Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher und Ständerat Benjamin Mühlemann hat erstmals ein Co-Präsidium die Führung der Partei übernommen. Das Duo erinnerte die Delegierten an die liberalen Grundsätze, auf denen das Erfolgsmodell Schweiz basiert: Freiheit und Eigenverantwortung, Gemeinsinn und Fortschritt. Der Staat solle sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren, anstatt sich zu verzetteln. Ohne Sicherheit gebe es keine Freiheit und keinen Wohlstand. Ich wünsche dem neuen Präsidium alles Gute, viel Energie und Freude für die kommenden wegweisenden Aufgaben.
Entscheid für die Stossrichtung der Partei
Nach einer intensiven und im höchsten Masse freisinnig-demokratischen Debatte haben sich die FDP-Delegierten zu den neuen EU-Verträgen geäussert. Eine deutliche Mehrheit sprach sich für die Verträge aus und eine knappere Mehrheit hat sich gegen das doppelte Mehr entschieden. Deutlich wurde auch beschlossen, dass sich die FDP-Fraktion bei der innerstaatlichen Umsetzung der Verträge mit aller Kraft gegen Angriffe auf den liberalen Arbeitsmarkt und gegen die Einwanderung in unsere Sozialsysteme einzusetzen hat. Damit ist die FDP die bisher einzige Partei, die sich in einem offenen Dialog zu den Verträgen geäussert hat. Eine definitive Parolenfassung ist es noch nicht. Nun können die Argumente der Minderheit in der Vernehmlassungsantwort berücksichtigt werden. So geht gelebte Demokratie!
Dankesvideo der FDP Aargau zum Abschied von Ständerat Thierry Burkart als Präsident der FDP Schweiz.
Mobilität gesamtheitlich planen: Aargau darf nicht abgehängt werden
Empfehlungen aus ETH-Gutachten für FDP Aargau inakzeptabel
Das kürzlich publizierte ETH-Gutachten "Verkehr '45" im Auftrag von Verkehrsminister Albert Rösti liess aufhorchen. Studienleiter Professor Ulrich Weidmann schlägt darin unter anderem vor, zentrale Verkehrsprojekte im Aargau zurückzustellen. Im Strassenverkehr soll der Ausbau der bereits heute massiv überlasteten A1 zwischen Aarau Ost und Birrfeld auf nach 2045 (!) verschoben werden. Beim öffentlichen Verkehr wird der Tunnel Aarau nach Zürich Altstetten als Direktverbindung und Entlastung einer zentralen ÖV-Verbindung infrage gestellt bzw. eine Projektreduktion oder alternative Lösung empfohlen. Die Umsetzung dieser Empfehlungen wäre aus Sicht der FDP-Fraktion inakzeptabel und wir sind umgehend aktiv geworden.
Gemeinsam mit den Fraktionen SVP, Mitte und EVP haben wir ein Postulat eingereicht. Der Regierungsrat soll in einem Bericht die Folgen für den Aargau bei einer Umsetzung der Studienempfehlung aufzeigen Auswirkungen sich bei einer Umsetzung der aus dem Expertenbericht der ETH Zürich für die Mobilitätsprojekte im Kanton Aargau ergeben würden. Die Auslegeordnung hat sowohl die Nationalstrassen- als auch die Bahnprojekte zu berücksichtigen. Im Bericht soll zudem aufgezeigt werden, welche strategischen Prioritäten für den Kanton Aargau gesetzt werden müssen, wie die Zusammenarbeit mit Nachbarkantonen und dem Bund zu intensivieren ist, und welche politischen und planerischen Schritte notwendig sind, damit der Kanton seine Anliegen wirkungsvoll einbringen kann.
Regierungsrat soll Auswirkungen aufzeigen: kommunal, regional und kantonal
In einem zweiten freisinnigen Fraktionspostulat (Sprecher Adrian Meier) verlangen wir zudem Auskunft vom Regierungsrat, wie die Auswirkungen auf Gemeinden und Regionen im Aargau wären, sollte der Bund den Studienempfehlungen folgen. So viel ist sicher: Diverse, aufwändig ausgearbeite regionale Mobilitätskonzepte wären Makulatur, dem Aargau drohten gleich auf mehreren Ebenen Verkehrsinfarkte, im übergeordneten Netz ebenso wie in der regionalen Feinverteilung. Dies gilt es mit allen Mitteln zu verhindern. Die FDP-Fraktion trat deshalb am Dienstag gemeinsam mit der Mitte-Fraktion auch als Mitunterzeichnerin bei einem von der SVP-Fraktion lancierten Antrags auf Direktbeschluss auf, der eine Standesinitiative des Kantons Aargau für den raschen Ausbau der A1 prüfen will.
Die Verkehrsadern unseres Landes dürfen nicht verstopfen. Der Kanton Aargau ist als Herzstück des Schweizer Mittellands auf eine leistungsfähige Infrastruktur angewiesen – auf Strasse UND Schiene.
Grosser Rat empfiehlt Initiative der Jungfreisinnigen zur Annahme
In der von den Jungfreisinnigen Aargau lancierten und erfolgreich eingereichten Volksinitiaitive "Blitzerabzocke stoppen" geht es im Grundsatz um die Bewilligungspflicht für fix installierte Verkehrsüberwachungsanlagen und die Mobilität von semistationären Anlagen. In einem liberalen Rechtsstaat gilt, dass staatliche Kontrollen begründet, notwendig und verhältnismässig sein müssen.
Auf öffentlichen Strassen kann man nicht einfach machen, was man möchte. Alle Änderungen wie Belagssanierungen, Lichtsignalanlagen und Wegweiser benötigen eine Bewilligung. So sollte eine relativ einschneidende Massnahme wie eine fix installierte Verkehrsüberwachungsanlage ebenfalls eine Bewilligung benötigen sowie eine periodische Überprüfung derselben erhalten. Dies und nichts anderes fordert die Volksinitiative der Jungfreisinnigen. Das Beispiel an der Badener Gstühl-Kreuzung ist exemplarisch; die Kreuzung ist kein Unfallschwerpunkt; in den vier Jahren vor dem Blitzer wurden drei Unfälle gezählt, in den vier Jahren nach bzw. mit dem Blitzer aber sieben Unfälle; eine Verdoppelung also.
Ja zur Verkehrssicherheit – Nein zur Abzockerei
Zusammen mit mir legte sich insbesondere mein Fraktionskollege Tim Voser, ehemaliger Präsident der Jungfreisinnigen Aargau und Hauptinitiant der damaligen Initiative, ins Zeug. Er war sicher in den Argumenten, sprach engagiert und zeigte den Grünliberalen auf, was liberal heisst und hielt der linken Ratsseite den Spiegel vor. Bei den aktuellen Blitzeranlagen geht es weitgehend um Ideologie und ums Kassieren von den AutofahrerInnen, sonst würde man eine Bewilligungspflicht nicht scheuen. Der Grosse Rat erklärte wie der Regierungsrat die Aargauische Volksinitiative der Jungfreisinnigen formell und materiell als gültig und empfiehlt dem Volk mit 72 zu 65 Stimmen diese zur Annahme.
Der Grosse Rat hat das neue Aargauer Sportgesetz mit 123 zu 12 Stimmen deutlich angenommen. Damit erhält die Sportförderung im Kanton eine klare gesetzliche Grundlage. Diese ist schlank, praxistauglich und so, wie sie sich auch in anderen Kantonen bewährt hat.
Das Gesetz stärkt die Planungssicherheit für Vereine, verbessert die Koordination von Infrastrukturprojekten und sorgt mit dem kantonalen Sportanlagenkonzept für eine gezieltere Nutzung bestehender Ressourcen. Künftig sollen Doppelspurigkeiten vermieden und Mittel dort eingesetzt werden, wo sie den grössten Nutzen bringen. Dies ist ganz im Sinne einer effizienten Sportförderung.
Dank dem Engagement der FDP bleibt das Gesetz auch finanziell und rechtlich subsidiär ausgestaltet. Sportförderung ist und bleibt in erster Linie eine Aufgabe der Gemeinden. Der Kanton soll dort unterstützen, wo übergeordnete Interessen bestehen, nicht mehr und nicht weniger. Die FDP hat sich im Gesetzgebungsprozess erfolgreich dafür eingesetzt, dass diese Kompetenzordnung gewahrt und der Staat nicht unnötig aufgebläht wird.
Keine Sportförderung in Konkurrenz zu anderen staatlichen Aufgaben
Zudem wurde auf freisinnigem Druck die Finanzierung präzisiert: Nur wenn der Swisslos-Fonds nicht ausreicht, kann der Kanton auf ordentliche Haushaltsmittel zurückgreifen – und auch das nur bei kantonal wichtigen Projekten. Damit wird verhindert, dass Sportförderung in Konkurrenz zu anderen staatlichen Aufgaben tritt.
Passagen zu Integrität und Inklusion, die wenig Mehrwert gebracht hätten, wurden gestrichen. Stattdessen wurde die Verknüpfung mit nationalen Standards für Fairness und Sicherheit klar und praxisnah geregelt.
Das Ergebnis ist ein liberales, ausgewogenes Sportgesetz, das den Sport stärkt, ohne unnötige Bürokratie zu schaffen.
Antrag auf Direktbeschluss angenommen – Standesinitiative wird ausgearbeitet
Die Kosten für pflegende Angehörige explodieren. Der Grosse Rat will nun mittels einer Standesinitiative Gegensteuer geben. Es sollen nur noch Personen angestellt werden können, die zugunsten der Pflege auf eine tatsächliche oder potenzielle Erwerbstätigkeit verzichten.
Pflegende Angehörige leisten einen wertvollen Beitrag für Gesellschaft und Gesundheitswesen. Seit einem Bundesgerichtsurteil können sie durch Spitex-Organisationen angestellt und die Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung abgerechnet werden. Es ist nachvollziehbar, dass Personen, die zugunsten der Pflege auf eine tatsächliche oder potenzielle Erwerbstätigkeit verzichten, einen Lohn dafür erhalten. Allerdings gibt es auch Fälle von pflegenden Angehörigen, bei denen ein hohes Risiko für Mitnahmeeffekte besteht.
An der letzten Grossratssitzung wurde nun ein Antrag von FDP, Mitte und SVP zur Ausarbeitung einer Standesinitiative betreffend pflegende Angehörige mit 99 zu 32 Stimmen angenommen. Der Bund soll aufgefordert werden, die gesetzlichen Grundlagen anzupassen. Es sollen nur Personen angestellt werden dürfen, die aufgrund der Pflege auf eine tatsächliche oder potenzielle Erwerbstätigkeit verzichten müssen. Konkret sollen nur Personen vor dem Pensionsalter berücksichtigt sowie kurzfristige oder geringfügige Pflegeeinsätze nicht zulasten der OKP abgerechnet werden. Ziel ist eine faire und zielgerichtete Regelung, die pflegende Angehörige unterstützt, ohne die Prämien- und Steuerzahlenden übermässig zu belasten. Mit der Ausarbeitung wurde die grossrätliche Kommission für Gesundheit und Sozialwesen betraut.
Auch Kantone sind in der Pflicht
Die Forderung nach einer Einschränkung der Anstellung pflegender Angehöriger betrifft explizit Bundesrecht, weshalb sie nun mittels einer Standesinitiative vorgebracht werden soll. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Bundesrates zum Thema pflegende Angehörige werden allerdings auch Massnahmen aufgezeigt, welche auf kantonaler Ebene ergriffen werden können, z.B. in Bezug auf die Tarife. Die FDP hat sich diesbezüglich bereits mit Vorstössen eingebracht und wird das Thema weiterhin eng verfolgen.
Die Aargauische Volksinitiative "Arbeit muss sich lohnen" fordert, das Sozialhilfe- und Präventionsgesetz um einen Paragrafen zum Langzeitbezug zu ergänzen. Im Initiativkomitee sind auch zwei Mitglieder der FDP-Fraktion: Grossrat Adrian Schoop und Grossrat Tim Voser.
Die Initiantinnen und Initianten wollen erreichen, dass bei Personen, die seit zwei Jahren ununterbrochen Sozialhilfe beziehen, der Grundbedarf um mindestens 5 Prozent gekürzt wird – sofern keine besonderen Umstände vorliegen. Ausnahmen sind unter anderem vorgesehen für Kinder, Personen in Ausbildung oder bei medizinischen Gründen. Zwar fehlen die Alleinerziehenden in der aktuellen Fassung, doch kann diese Lücke im weiteren Gesetzgebungsprozess noch geschlossen werden.
Schon heute erlaubt das Gesetz Kürzungen um bis zu 30 Prozent, allerdings nur bei renitentem Verhalten eines Sozialhilfebezügers. Bei Annahme der Initiative würde nach einer Dauer von zwei Jahren ein Automatismus greifen.
Begleitung vom ersten Tag an ist am wirksamsten
Sollte die Initiative angenommen werden, wird die neue Regelung voraussichtlich nicht allzu viele Fälle betreffen. Sie ist daher als ergänzende Massnahme zu den bestehenden Instrumenten in der Sozialhilfe zu verstehen. Die wirksamste Unterstützung bleibt eine individuelle und frühzeitige Betreuung der Betroffenen – vom ersten Tag an mit dem Ziel, möglichst rasch eine wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen.
Das letzte Wort hat nun das Volk, das über die Initiative abstimmen wird. Zum Vergleich: Im Kanton Baselland hat die Bevölkerung 2022 eine vergleichbare Anpassung des Gesetzes mit 63,8 Prozent Ja-Stimmen angenommen.
Aktuelle Vorstösse aus der FDP-Fraktion
ETH-Verkehrsbericht I: Auswirkungen auf den Kanton Aargau Postulatder Fraktionen FDP (Sprecher Stefan Huwyler, Muri), SVP, Mitte und EVP Mit diesem fraktionsübergreifenden Postulat soll der Regierungsrat beauftragt werden, einen Bericht zur Thema Mobilitätsplanung im Kanton Aargau vorzulegen. Darin sollen die Folgen für den Aargau bei einer Umsetzung der Empfehlungen der ETH-Studie aufgezeigt werden (vgl. auch obenstehender Beitrag). Die Auslegeordnung hat sowohl die Nationalstrassen- als auch die Bahnprojekte zu berücksichtigen. Ausserdem soll gezeigt werden, welche strategischen Prioritäten für den Kanton Aargau gesetzt werden müssen, wie die Zusammenarbeit mit Nachbarkantonen und dem Bund zu intensivieren ist und wie sich der Aargau am wirkungsvollsten einbringen kann.
ETH-Verkehrsbericht II: Auswirkungen auf die Regionen im Aargau Postulat der FDP-Fraktion (Sprecher Adrian Meier, Menziken) Ergänzend zu den überparteilichen Vorstössen verlangt die FDP-Fraktion im Rahmen eines Berichts Auskunft beim Regierungsrat, welche Konsequenzen sich bei einer Umsetzung der aus dem Expertenbericht der ETH Zürich ("Verkehr 2045") hervorgehenden Empfehlungen für die Regionen und Gemeinden im Kanton Aargau ergeben würden. Die Auslegeordnung hat die laufenden Gesamtverkehrskonzepte sowie die im Richtplan eingetragenen Umfahrungen zu berücksichtigen und diese in Zusammenhang mit früheren Verkehrsstrategien und Berichten des Bundes (UVEK, ASTRA, BAV) zu stellen.
Finanz. Fesseln der Gemeinden lösen – Wachstum gebundene Ausgaben stoppen Postulatvon Grossrat Tim Voser und Grossrätin Denise Strasse Immer mehr Gemeinden im Kanton Aargau geraten finanziell unter Druck. Rund 80 Prozent der Gemeindefinanzen gelten heute als gebunden – also Mittel, über die faktisch nicht mehr frei verfügt werden kann. Ein grosser Teil dieser Ausgaben entsteht durch kantonale Vorgaben, etwa in den Bereichen Bildung, Sozialhilfe, Pflegefinanzierung und Krankenversicherung. Mit dem Vorstoss wird der Regierungsrat aufgefordert, das zunehmende Wachstum dieser gebundenen Ausgaben zu analysieren und Wege aufzuzeigen, wie die finanzielle Handlungsfreiheit der Gemeinden wieder gestärkt werden kann.
Ratsgeflüster Neben- und Mitgeräusche der letzten Grossratssitzung
Das Ereignis des Grossratstages war zweifellos die nagelneue Abstimmungsanlage im Saal. Sie brachte verschiedene Veränderungen: Eine neue Darstellung der Abstimmungsergebnisse etwa (in eher gewöhnungsbedürftigem Layout war von verschiedener Seite zu hören) oder nur noch drei anstatt vier Knöpfe am Platz jedes Ratsmitglieds. Die Präsenz wird neu mit dem "Ja"-Knopf erhoben, einen separaten "Präsenz"-Knopf gibt es nicht mehr. Und die neuen Knöpfe bedürfen mehr Fingerspitzengefühl für eine gültige Stimmabgabe als die bisherigen: Zu langes oder zu kurzes Drücken funktioniert nicht. Nach einigen Abstimmungen hatten die meisten Ratsmitglieder den Dreh bzw. das Gefühl fürs "richtige Abstimmen" (rein technisch gesehen natürlich) aber raus. Die grösste Umstellung für die Grossrätinnen und Grossräte war zweifellos die Einführung der Badgekarte. Optisch sehr ähnlich mit dem bisherigen Grossratsbadge ist die neue Karte zugleich auch Identifikationstool: Wer am Platz abstimmen möchte, muss die Karte im entsprechenden Schlitz eingesteckt haben und wer am Rednerpult spricht ebenfalls, damit auf dem Saalscreen Name und Partei des Sprechers angezeigt werden.
Nicht ganz überraschend sorgte diese Änderung bei der ersten Anwendung für einige Heiterkeit und ein paar zusätzliche Schritte verschiedener Ratsmitglieder. Harry Lütolf (Mitte) redete sich als glühender Gegner der Blitzerinitiative des (jung)freisinnigen Grossrats Tim Voser so in Rage, dass er nach Beendigung des Votums (wie eigentlich immer) an seinen Platz zurückstürmte und dabei die Karte am Rednerpult vergass. Bei der Abstimmung hatte er sie dann aber wieder am Platz eingesteckt und konnte seine überzeugte Nein-Stimme abgeben. Nützte freilich nichts, die Initiative wurde vom Rat zur Annahme empfohlen. Lütolf war beim Kartenvergessen aber in guter Gesellschaft: Severin Lüscher (Grüne) schritt wenig später ohne Karte nach vorne zum Rednerpult. Seine aufmerksame Fraktionspräsidentin und Sitznachbarin Mirjam Kosch eilte ihm mit der Karte nach. Immerhin hatte sie es aus der ersten Reihe nur einige Schritt weit, so dass sich die von den Grünen so oft kritisierte Ressourcenverschwendung in Grenzen hielt. Bei den Freisinnigen hingegen wird die Eigenverantwortung gross geschrieben. Als Tobias Hottiger seine Karte am Platz vergass eilte ihm kein Fraktionskollege zur Hilfe. Wobei, wer wüsste es besser als Arzt Hottiger, dass etwas (Zusatz-)Bewegung gesundheitsfördernd ist?
Besuch erhielt das Kantonsparlament von einer Delegation der Ratsleitung des Landrates Basel-Land, die entsprechende Kantonsflagge war frühmorgens zu Ehren der Gäste vom Leiter Hausdienst David Fischer über dem Eingang des Grossratsgebäudes gehisst worden. Am Nachmittag kümmerte sich Grossratspräsident Markus Gabriel persönlich um die Gesandtschaft des Nachbarkantons. Vizepräsident 1 Urs Plüss übernehm als sein Stellvertreter die Ratsleitung. Und wie könnte es anders sein, ausgerechnet unter dem Vorsitz des beruflich in der IT tätigen Vizepräsidenten verweigerte die neue Saalanlage erstmals ihren Dienst. Dies vermochte den angehenden höchsten Aargauer nicht aus der Ruhe zu bringen, er bediente sich des IT-Heimanwenders erster Regel eines System-Neustarts. Und siehe da: es funktonierte.
Für unbeabsichtigte Erheiterung sorgte SP-Grossrätin Lea Schmidmeister, als sie bei der Beratung der Initiative "Arbeit muss sich lohnen" zu Protokoll gab, Mitglied im Initiativkomitee sei auch "Regierungsrätin Martina Schoop [sic!], damals noch Nationalrätin", gewesen. Sagen wollte sie wohl, dass die damalige Nationalrätin Martina Bircher (SVP) und der 2023 ganz knapp nicht in den Nationalrat gewählte Adrian Schoop (FDP) im Komitee Einsitz hatten. Nun wird Adrian Schoop mit seiner politischen Positionierung tatsächlich hin und wieder als SVP-nah verortet und dass er (weiterhin) gerne Nationalrat werden möchte, ist mehr als ein offenes Geheimnis. Nicht bekannt ist allerdings eine familiäre Verbindung oder eine Namensverwandtschaft mit der amtierenden Regierungsrätin. Grossrat Schoop kann es auch positiv sehen: Nachdem er nun von einer linken Ratskollegin zumindest halb (sprich mit dem Nachnamen) zum Nationalrat gemacht wurde, sollte die andere Hälfte bei der nächsten Wahl im 2027 auch zu schaffen sein, so dass es dann hochoffiziell und nicht durch einen Versprecher heisst: "Nationalrat Adrian Schoop".
In der Mittagspause lud die AEW Energie AG die Grossratsmitglieder zum "Energielunch" in den Gasthof Schützen, diesmal zum Thema "regionale Wärmeversorgung". Referent war der Leiter Produktion der AEW, David Gautschi, seines Zeichens auch Wortführer beim umstrittenen AEW-Windparkprojekt auf dem Lindenberg in Beinwil/Freiamt, über das die Gemeindeversammlung der Freiämter Gemeinde demnächst entscheidet. Von den Windpargegnern immer wieder vorgebracht wird dabei unter anderem die negative Auswirkung von Windrädern durch den sogenannten "Vogelschlag". Und obwohl nicht Thema der Veranstaltung meldete sich auch der Wind auch am Dienstag in Aarau "zu Wort". Durch die offene Verandatür des Saales wurde der AEW-Rollup umgeweht, in Richtung von SP-Grossrat Michael Wacker. Glücklicherweise kam dieser - im Gegensatz zu den dem Vogelschlag erliegenden gefiederten Zeitgenossen – mit einem kleinen Schrecken davon. AEW-CEO Marc Ritter eilte sofort zur Hilfe, schloss die Tür und brachte den Rollup wieder in Position. So konnte man sich wieder dem schmackhaften Mittagessen und der verhältnismässig ungefährlichen Holzschnitzelheizungen zuwenden.
Ratsflüsterer
Terminhinweis: Rheinfelder Tagung 2025 zur Thematik Asyl
Aktuelle Informationen für die FDP-Seniorinnen und -Senioren
12 Tage nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima am 11. März 2010 läutete der Bundesrat die Energiestrategie 2050 ein. Unter dem Eindruck des Erlebten unter anderem mit dem Ziel, die Kernenergie abzuschreiben. Das, so hiess es, sei mit Energiesparen ("2000-Watt-Gesellschaft") und dem Ausbau der erneuerbaren Energien machbar. 15 Jahre später offenbaren sich die getroffenen Annahmen teils als Schönwetter-Illusion.
Der Strom-Gesamtverbrauch sinkt nicht, sondern er wächst wegen des Bevölkerungszuwachses und der Dekarbonisierung. Hingegen kommt der Zubau erneuerbarer Energien (Beispiel Solarexpress 2024) langsamer voran als geplant. Wegen der Winter-Stromlücke steigt die Bedeutung der Stromimporte und eines Stromabkommens. Weil die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet schien, wurde vor zwei Jahren in Rekordzeit in Birr ein öl- oder gasbetriebenes 250-Megawatt-Reservekraftwerk erstellt. Kurz vorher war das KKW Mühleberg mit gleicher Leistung stillgelegt worden.
Energiekanton Aargau
Der Aargau ist ein wichtiger Energiekanton. Mit 25 grossen und mittleren Wasserkraft- sowie drei Kernkraftwerken produziert er einen Viertel des schweizerischen Strombedarfs. Die Versorgungssicherheit ist eines der vier Hauptziele der kantonalen Energiepolitik. Diese wird momentan neu justiert, wie Lisa Hämmerli, Fachspezialistin Energiewirtschaft im Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) am Herbstanlass der FDP Seniorinnen und Senioren Aargau im "Schützen" Aarau anstelle ihres erkrankten Chefs, Regierungsrat Stephan Attiger, darlegte. Die gegenwärtige Versorgungssituation, sagte sie, sei dank dem wieder intakten französischen Kernkraftwerkpark entspannter als 2023. Aber der Bund sehe sicherheitshalber vier neue Reservekraftwerke vor, drei davon im Aargau.
Versorgungssicherheit durch Technologieoffenheit
Die kantonale Energiestrategie tendiert auf Technologieoffenheit, eine längere Laufzeit der Kernkraftwerke (bis 80 Jahre), solang die Sicherheit gewährleistet ist; allenfalls einen KKW- Neubau oder neue Gas-Kombi-Kraftwerke – und in jedem Fall den Weiterausbau erneuerbarer Energien. PV-Anlagen lösten allerdings das Winterstrom-Problem nicht, abgesehen davon seien sie für die Netzintegration herausfordernd, sagte die Referentin. Windkraftanlagen wären wintergerechter. Eine Windturbine produziere gleichviel Strom wie 25'000 m2 Photozellen, erklärte Lisa Hämmerli. Aber Windkraftwerke kollidierten oft mit Landschaftsschutz- und anderen Anliegen. So blockieren aktuell Beschwerden das Projekt Burg im Fricktal. Über das Projekt Horben im Freiamt stimmt dieser Tage die Gemeindeversammlung Beinwil ab.
Dem Referat schloss sich eine von alt Grossrat Bernhard Scholl moderierte, lebhafte Diskussion mit viel Fachkompetenz aus dem Publikum an. Sie bestätigte: Die Energiepolitik ist komplex geworden, und die Energieversorgung der Zukunft dürfte teuer werden. Präsidentin Ursula Brun Klemm stellte den nächsten FDP-Senioren-Anlass im März 2026 in Aussicht.
Ursula Brun Klemm (links) dankt Lisa Hämmerli für den Vortrag.