Der Ständerat des Kantons Aargau ist wieder komplett: Marianne Binder-Keller aus der Mitte wird künftig zusammen mit Thierry Burkart den Aargau in Bern vertreten. Die Geschäftsleitung der FDP Aargau versuchte indes mit der Unterstützung des SVP-Kandidaten Benjamin Giezendanner, einen noch grösseren Einfluss der Mitte-Partei in Bundesbern zu verhindern. Denn was das bedeutet, bekamen wir in der Budgetdebatte an der letzten Grossratssitzung bereits leidlich zu spüren. Mehrmals sprach eine Sprecherin oder ein Sprecher aus der Ratslinken im Namen der SP-, Grünen-, GLP-, EVP- und Mitte-Fraktionen. Bürgerliche Mehrheiten sind hingegen kaum mehr zu finden.
Das demokratische Verdikt des Stimmvolks ist zu akzeptieren. Nun müssen wir aber aufhören, öffentlich über die Schuldfrage bezüglich der Nichtwahl von Benjamin Giezendanner zu lamentieren. Fakt ist: Benjamin Giezendanner hat das Wählerpotenzial von SVP und FDP ausgeschöpft, die Linke hat schlicht besser mobilisiert. Jetzt gilt es den Blick nach vorne zu richten: Bereits in einem Jahr warten nämlich die nächsten Wahlen auf uns. Dann wählt der Aargau den Grossen Rat und den Regierungsrat neu. Als Fraktion werden wir deshalb auch in den kommenden Monaten besonders gefordert sein, unsere liberalen Positionen mit Nachdruck zu vertreten und vor allem an die Öffentlichkeit zu tragen.
Wenn uns die jetzigen Wahlen eines gelehrt haben, dann dass wir unsere Energie besser dafür nutzen, unsere Positionen zu schärfen, als uns unnötig mit Vergangenheitsbewältigung zu beschäftigen. Aus eigener Erfahrung in der Wirtschaft weiss ich, wenn immer wir uns intern zu sehr selber beschäftigt haben, kam es schief heraus…
Meine Erwartung ist daher klar: Von unseren Parteiexponenten erwarte ich, dass sie die FDP bei den Wahlen unterstützen, anstatt zu torpedieren. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich weiss ganz genau, ich darf primär im Grossen Rat politisieren, weil die FDP Erfolg hat und nicht umgekehrt. Diesen Fakt, sollten alle gewählten und ehemaligen Politikerinnen und Politiker wieder stärker verinnerlichen.
Nach guten Jahren ist der Ausblick düster. Die Schulden sind abgetragen und finanzielle Reserven gebildet. Noch ist das Rating von Standard & Poor’s sehr gut mit einem AAA, dies vor allem dank den hohen Liquiditätsreserven.
Der Aufgaben- und Finanzplan (AFP) 2024-27 mit Budget 2024 ist noch nicht fertig beraten im Grossen Rat, aber es zeichnet sich ein Defizit von rund 230 Millionen Franken ab. Die Ausgleichsreserve (Bestand Ende 2022: 837,6 Millionen Franken) schmilzt wie Schnee an der Sonne. Sollten die Ausschüttungen der SNB auch in den Planjahren teilweise ausfallen ist die Ausgleichsreserve schon viel früher aufgebraucht als geplant.
Steuern
Die kantonalen Steuern werden für das Budget 2024 mit rund 2,47 Milliarden Franken um 135,2 Millionen Franken oder 5,8 Prozent höher budgetiert als im Budget 2023.
Ausgabenwachstum
Der konsolidierte Aufwand 2024 des Kantons wächst um 2,2 Prozent gegenüber dem Budget 2023. Laut den Prognosen von Ende September wird für die Jahre 2023 und 2024 ein reales Wachstum des Bruttoinlandprodukts im Kanton Aargau von 1,1 Prozent erwartet. Damit wächst die Wirtschaft im Mehrjahresvergleich deutlich unterdurchschnittlich, …und der Kanton Aargau überdurchschnittlich.
Sorgen macht uns auch weiterhin der tiefe Ressourcenindex. Wir sind weit entfernt von 100 Prozent und deshalb beim Nationalen Finanzausgleich "armengenössig". Und nicht zuletzt: Ein Dauerärgernis ist und bleibt die hohe Staatsquote.
Ich möchte aber auch auf Folgendes hinweisen: Das Parlament und nicht nur der Regierungsrat ist mitverantwortlich für dieses Mengenwachstum bei den kantonalen Ausgaben.
Stellenplan und Lohnerhöhung
Der Stellenplan wächst um über 100 Stellen (+2,2 Prozent). Vieles ist durch gesetzliche Vorgaben bestimmt. Aber es fehlt uns die Einsicht, dass der Staat auch gewisse Aufgaben und Tätigkeiten überdenken könnte. Dies suchen wir vergeblich im AFP.
Grosse Sorgen bereitet der FDP das hohe Stellenwachstum im Aufgabenbereich 515 "Betreuung Asylsuchende" (noch nicht beraten!). Zur Verstetigung von 66 Projektstellen kommen rund 50 neue Stellen hinzu. Dies wurde in der Kommissionsberatung begründet mit der grossen Zunahme von UMA (unbegleitete minderjährige Asylsuchende). Zumindest wurde versprochen, vorsichtig mit dem Stellenaufwuchs umzugehen.
Der durchschnittlichen Lohnerhöhung um 2,2 Prozent für das kantonale Personal und die Lehrpersonen stimmt die FDP-Fraktion gemäss Antrag der Kommission für Aufgabenplanung und Finanzen (KAPF) zu und wird die Minderheitsanträge ablehnen. Die entspricht der Teuerung und hält auch Stand mit Branchenvergleichen.
Nicht nur knapp daneben!
Ein Thema bleibt noch: Der Kanton Aargau gehört nicht zur Spitze betreffend Budgetgenauigkeit. Er liegt jeweils um mehrere 100 Millionen Franken daneben. Der Kanton Freiburg zeigt aber laut einer Studie von Avenir Suisse eindrücklich, dass es möglich ist, präziser zu budgetieren.
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: die Steuereinnahmen 2023 fliessen weit besser als budgetiert. Wir werden das Thema "Wetterprognose" bzw. "Budgetgenauigkeit" bei der nächsten Debatte über den Jahresbericht 2023 aufgreifen.
Kredit für verschiedene Aufgabenbereiche gesprochen
Grosser Rat genehmigt die Kredit-Sammelvorlage II für 2023
Zweimal jährlich legt der Regierungsrat dem Grossen Rat seine Verpflichtungs- und Nachtragskredite vor. Nebst dem diesjährigen Budget konnten wir in der zweiten Sammelvorlage 2023 über total 8 neue Verpflichtungskredite mit einem einmaligen Bruttoaufwand von insgesamt 19,4 Millionen Franken entscheiden. Diese Beschlüsse haben keine Auswirkungen für das Budget 2024. Im zweiten Teil werden 2 budgetwirksame Nachtragskredite von insgesamt 3,9 Millionen Franken beantragt.
Diskussionsbedarf gab es bei dieser Vorlage nicht im Grossen Rat. Wahrscheinlich haben alle schon den Fokus auf die anstehende Budgetberatung gelegt.
Gerne gebe ich einen kurzen Überblick über die bewilligten Nachtragskredite;
3,52 Millionen Franken werden für ingesamt 6 mehrjährige Projektstellen bei den Verkehrszulassungen für den Abbau der Rückstände bei den Personenwagenprüfungen benötigt. Wir erhoffen uns, dass die Rückstände abgebaut werden und vor allem, dass es nicht wieder zu einem solchen Rückstand kommen soll.
Rund 2,2 Millionen Franken werden beim Straf- und Massnahmenvollzug benötigt. Hier gibt es eine Erneuerung des Zellenrufs und digitales Gefangenmanagements. Die digitale Welt wird nun auch bei der Strafanstalt Lenzburg eingeführt.
Derzeit wird an den aargauischen Mittelschulen mit unterschiedlichen Schuladministrationssystemen gearbeitet. Das neue Projekt "Neue Mittelschuladministration (NEMA)" gewährleistet, dass alle bestehenden und auch künftigen Mittelschulen mit einem einheitlichen System arbeiten können. Dies kostet den Kanton 1,05 Millionen Franken.
5 Millionen Franken werden für die Gesamtrestaurierung der spätrömischen Kastellmauer in Kaiseraugst benötigt.
3,4 Millionen Franken gehen in die Verwaltung. Auch hier möchte der Regierungsrat die vorhandenen Zeit-, Absenz-, Leistungserfassung konsolidieren und ein einheitliches System einführen: "timeAG".
Für 2,42 Millionen Franken wird im ehemaligen Kloster Olsberg die bestehende Wärmeerzeugung ersetzt.
Ein weiteres Projekt "Digitale Verwaltung Schweiz (DVS)" soll umgesetzt werden. Dies ist ein Projekt zwischen dem Bund und Kantonen und kostet uns 3,45 Millionen Franken.
Insgesamt rund 19,7 Millionen Franken aus der Kantonskasse (bzw. den beiden Spezialfinanzierungen Strassenrechung und Spezialfinanzierung öV-Infrakstruktur) fliessen in ein Strassenprojekt im Bezirk Brugg. Der Knoten Zurzacherstrasse (Gemeinden Rüfenach und Villigen) wird saniert. Ein Teil des Kredits, rund 2,25 Millionen Franken, unterliegen dem Beschluss des Grossen Rates im Rahmen der Sammelvorlage.
Die Anzahl Grossratssitzungen haben gegenüber den Vorjahren wieder zugenommen und deshalb ergibt sich hier ein Nachtragskredit von einmalig 220'000 Franken.
In der Verwaltung ergaben sich Mehraufwendungen bei den Energiekosten aufgrund der Teuerung und Energiemangellage. Dies kostet uns einmalig 3,7 Millionen Franken.
Basierend auf den Prognosen des Staatsekretariats für Migration muss der Kanton Aargau im Jahr 2023 mit 3'000 bis 4'000 Zuweisungen rechnen. Bei dieser hohen Anzahl Zugewiesener bleibt die Unterbringungssituation weiter angespannt. Mit der neuen Asylunterkunft Oftringen kann in diesem Zusammenhang eine gute Lösung realisiert werden. Weitere werden folgen müssen.
Um seiner Aufnahmepflicht von 120 Asylsuchenden nachzukommen hat der Gemeinderat von Oftringen aktiv neue Lösungsansätze gesucht. Mit Oftringen hat erstmals eine Gemeinde proaktiv dem Kanton eine Parzelle im Baurecht angeboten. Mit der Zurverfügungstellung dieser Parzelle für die Platzierung von Modulbauten wurde nun eine optimale Lösung gefunden. Die Einwohnergemeinde hat an der Gemeindeversammlung im September 23 dem Antrag klar zugestimmt. Die F. Hoffmann-La Roche AG überlässt dem Kanton Aargau eine Modulbaute kostenlos.
Gute Lösung für alle
Einzig die Umplatzierung der Modulbaute und den Rückbau der Fundation am aktuellen Standort in Kaiseraugst muss durch den Kanton organisiert und finanziert werden. Die Gemeinde Oftringen übererfüllt damit ihre Aufnahmepflicht und muss nach der Eröffnung der Unterkunft sukzessive weniger Personen selbst unterbringen und betreuen. Das entlastet die Gemeinden sowohl zeitlich, wie auch finanziell.
Optimale Ergänzung
Die Modulbaute bietet bei einer Nutzung als Asylunterkunft Platz für 150 Geflüchtete und kann für mindestens zehn Jahre auf einer Parzelle in der Gemeinde Oftringen platziert werden. Sie stellt somit eine optimale Ergänzung zu den anderen Unterbringungsplätzen dar. Ausserdem kann der kantonale Sozialdienst bei einem Rückgang der Asylzahlen andere Unterkünfte mit einer geringeren Kapazität und tieferer Wirtschaftlichkeit schliessen. Aktuell betreibt der Kantonale Sozialdienst 59 kantonale Unterkünfte, wovon 43 Unterkünfte über weniger als 50 Plätze verfügen. Im Sinn eines effizienten Betriebs ist man deshalb bemüht, die benötigten Plätze idealerweise in grösseren Unterkünften zu schaffen.
Ratsgeflüster Neben- und Mitgeräusche der letzten Grossratssitzung
Als Nachfolgerin der in den Nationalrat gewählten Simona Brizzi wurde am Dienstag Selena Rhinisperger (SP, Baden) in Pflicht genommen. Das neue Ratsmitglied konnte es offensichtlich kaum erwarten, die parlamentarische Arbeit aufzunehmen. Nach dem Verlesen der Gelöbnisformel durch den Stellvertretenden Ratssekretär Urs Zgraggen gab Neo-Grossrätin Rhinisperger umgehend zu Protokoll "Ich gelobe es". Grossratspräsident Lukas Pfisterer, der dieses Gelöbnis eigentlich jeweils mit den Worten "Bitte sprechen Sie mir die Worte nach: Ich gelobe es" einführt, und der Rest des Saals nahm es mit Humor. Der Vorsitzende brachte die Inpflichtnahme dann in der vorgesehenen Form zu Ende. Fazit: Selena Rhinisperger hat nun gleich zweimal das Gelöbnis abgelegt. Auf dass es nütze.
Aufmerksam verfolgt wurde die Debatte auf der Tribüne von einer Delegation des Schülerparlamentes der Schule Muri. In einem Votum zum Geschäft zur Asylunterkunft Oftringen begrüsste der Murianer Gemeindepräsident und Grossrat Hampi Budmiger (GLP) stolz die Delegation aus "seiner" Gemeinde. Er dankte anschliessend der Gemeinde Oftringen für das vorbildliche Vorgehen bei der Realisierung der Asylunterkunft. Und schliesslich dankte er auch der "Gemeinde Hoffmann-La Roche" (sic!) für das kostenlose Zurverfügungstellen der Wohncontainer für die Unterkunft. Gemeindepolitik in Ehren, aber das war dann wohl einmal zu viel den Gemeinden gehuldigt. Aufgefallen ist dies derweil kaum jemandem, das Halbrund nahm Budmigers Versprecher mit stoischer parlamentarischer Gleichgültigkeit zur Kenntnis (oder eben nicht).
Im Rahmen der Beratung des Aufgaben- und Finanzplans (AFP) kam im Aufgabenbereich Rechtssprechung auch Obergerichtspräsident Viktor Egloff als höchster Vertreter der Aargauer Judikative zu Wort. Er hielt sein Votum entgegen den Gepflogenheiten im Ratsaals auf Schweizerdeutsch. Zuvor hatte der Präsident der Kommission Aufgabenplanung und Finanzen (KAPF), Stefan Huwyler (FDP), die Justizleitung kritisiert, weil sie den AFP-Prozess des Grossen Rates missachtet und einen nicht weitergeführten Entwicklungsschwerpunkt nicht korrekt zur Streichung beantragt hatte. Das Mundart-Votum vermochte entsprechend den Verdacht nicht zu entkräften, dass sich die dritte Staatsgewalt in gewissen Punkten um die Abläufe der Legislative foutiert. Ob sich der KAPF-Präsident deswegen, wegen der zwangsläufig vielen Redezeit während der AFP-Beratung oder wegen einer leichten Erkältung räuspern musste, ist nicht klar. Auf jeden Fall war die aufmerksame Ratsweibelin Manuela Widmer als gute Seele sofort zur Stelle und platzierte Bonbons zum "Ölen" der Stimmbänder beim Pult des Kommissionspräsidenten.
Die AFP-Debatte konnte am Dienstag nicht beendet werden und wird kommende Woche fortgesetzt. Mit eine Hauptursache waren zahlreiche Anträge aus der Kommission für Bildung, Kultur und Sport. EVP-Fraktionspräsident Uriel Seibert bekannte sich offiziell dazu, dass viele dieser Anträge von ihm stammten und kommentierte sie entsprechend auch wortreich. SP, Grüne, EVP, GLP und Mitte übertrugen ihm denn auch gleich die Rolle als gemeinsamer Sprecher der genannten Fraktionen. Das verhinderte zumindest noch längere Debatten über Anträge für höhere Ausgaben, die letztlich grösstenteils abgelehnt wurden. Die offen demonstrierte Blockbildung zeigte zudem auf, wie die politischen Linien im Grossen Rat immer häufiger verlaufen. "Liberal" im Parteinamen ist noch kein Beweis für liberales Handeln, ebensowenig wie "Mitte" automatisch eine Verortung im politischen Zentrum bedeutet.
Bei einem Antrag hätte es doch fast gereicht für eine Mehrheit für Mitte-Links für eine Erhöhung der Ausgaben. Jedoch kam GLP-Grossrätin Leandra Kern Knecht einen Wimpernschlag zu spät zurück zu ihrem Platz und das Abstimmungsfenster war geschlossen. Resultat: 65 Ja zu 65 Nein. Grossratspräsident Pfisterer durfte den Stichentscheid fällen und lehnte den Antrag ab, sehr zum Verdruss der (haarscharf) Unterlegenen. Es bleibt allerdings der Verdacht im Raum, dass – wie in den letzten beiden Jahren – die Ratslinke zum Schluss der Verhandlungen wieder einen Rückkommensantrag stellen wird.
Ratsflüsterer
Wir suchen Verstärkung!
Sind Sie auf der Suche nach einem spannenden Job im Herzen der Aargauer Politik? Die Geschäftsstelle der FDP Aargau sucht als Verstärkung eine/n Mitarbeiter/in mit Pensum 40-50 %.